Mittwoch, 27. April 2016

Herzinfarkt, muß das sein?

Ich will, ich will, ich muß!
Eigentlich habe ich seit Monaten das Gefühl, daß mir alles zuviel ist. Am liebsten würde ich meinen Hof zusammfassen und mit den Menschen, die mir lieb sind, in die Toskana  beamen. Dabei kann ich nicht begründen, warum Toskana, vielleicht wegen der Wärme, den Lavendelfeldern, dem Thymian- und Rosmarinduft. Bei jeder Kleinigkeit gehe ich an die Decke, ich würde am liebsten den lieben Gott einen guten Mann sein lassen und die Decke über den Kopf ziehen.
Als ich mich am Donnerstag ins Bett lege, habe ich feste Arbeitspläne für Freitag und Samstag. Freitag vorbereiten und Samstag durcharbeiten, damit ich mein Pensum schaffe, ohne die Extraschicht am Samstag nicht zu bewältigen: ich muß! Mein Zeitplan steht.
Dann wache ich um kurz nach 1 Uhr wieder auf, die Schmerzen in der Brust strecken sich über die Oberarme bis in die Fingerspitzen aus. Raus aus dem Bett, ob der Gang ins Badezimmer hilft, hilft mir Bewegung?  Ich schnappe mir mein Handy und sehe im Internet nach den Symptomen für Herzinfarkt nach. Kalter Schweiß ìn Kombination mit den Schmerzen läßt mich erneut nach dem Handy greifen, wohl mit verzweifelter Stimmen rufe ich meinen Lieblingssohn um 1:47 an. Er sagt mir, daß er sofort kommt.
Funktioniert mein Hirn? Schaltet es auf Autopilot?
Damit der Anruf zurückverfolgt werden kann, greife ich zum Festnetztelefon, wähle die 110. Ein freundlicher Mann erklärt mir, daß ich die 112 wählen soll, er würde mich aber auch gerne verbinden. Ich bedanke mich und wähle die 112. Meine Instruktionen weniger genau "Bucha, das alte Wohnstallhaus neben der Feuerwehr". Auch Mark hat inzwischen den Notruf erreicht, nachdem er aus dem Funkloch ist, mein Notruf ist bereits registriert und er kann die Sanitäter einfangen, die ob meiner "präzisen" Beschreibung in Bucha suchend herum fahren.  Und ich, ich überlege mir einen Moment, ob ich nicht saugen sollte, damit es ordentlicher ist, wenn jetzt jemand Fremdes ins Haus kommt. Ich entschließe mich jedoch dagegen, lieber gehe ich runter in den Stall und schließe die Tür auf, schließlich steckt der Schlüssel von innen.  Endlich, für mich nach einer gefühlten Ewigkeit, höre ich die Stimme von meinem Sohn. Faustus tänzelt nervös um mich herum, Hänsel meint auf mir rum trampeln zu müssen , ich reagiere auf alles unwillig. Mark wird es richten.
Damit die Hilfe zu mir vordringen kann, wird Faustus im Bad eingesperrt. Ich werde ermahnt ruhiger zu atmen, soll nicht hyperventilieren. Das EKG bringt nicht genügend Aufschluß , auf einer leuchtend roten Luftmatratze werde ich in den Hof getragen und auf die Trage geschoben. Und dann geht es ab in Richtung Oschatz, zunächst.
Kaum fahren wir vom Hof, schon ertönt das Martinshorn. Ich schimpfe: "meine Nachbarn wollen schlafen!" Dann entsteht eine angeredet Diskussion darüber, ob Collm-Klinik, Riesa oder Herzzentrum Leipzig,  ich setze mich für Oschatz ein, doch ìn Oschatz ist um diese Zeit die Herzabteilung geschlossen. Der Kontollanruf in Riesa, unterbrochen durch Funklöcher, ergibt, daß in Riesa Ärzte zur Verfügung stehen. Und wieder kommt mir die Fahrt ewig vor. Ich bekomme einen Hub Nitroklyzerin auf die Zunge.  Später folgt ein weiterer Hub, neugierig will ich wissen, ob ich jetzt gesprengt werde.
Endlich in Riesa angekommen, halten mein Krankenordner und mein Handy die gewünschten Auskünfte bereit, ich bin es leid zum wiederholten Mal meinen Namen und mein Geburtsdatum zu nennen. Als ich nach dem Alter meiner Mutter gefragt gefragt werde, bin ich der Ansicht, daß es sich die Ärzte selbst errechnen sollen, nenne lediglich den Jahrgang 1927.
Gedanken, oder gar Angst, um meinen Körper mache ich mir nicht. Es kommt, wie es kommt.

Dresden, Intensivstation

In Riesa sind sich die Ärzte sicher, daß ich in der Uniklinik von Dresden besser aufgehoben bin, aber der notwendige Hubschrauber fliegt nicht, es ist zu neblig. Also wird ein extra schneller Fahrer angefordert. - Wir wollen Spaß, wollen Spaß, wir geben Gas, geben Gas. - Rekord!  35 Minuten Fahrzeit trotz Nebel und beginnendem  Berufsverkehr. Davor hatte ich noch darum geben, daß Mark eine WhatsApp (5:59) geschickt bekommt, daß mich meine Reise weiter nach Dresden führt. In Riesa hatten mich die verabschiedenten Ärzte mit den besten Wünschen, dem schnellen Notarztwagen übergeben einer Riesaerärztin meinen Krankenordner ans Herz gelegt und sie dazu verdonnert, mich zu begleiten. Die Ärztin ist müde, sicher hat sie bereits einen langen, anstrengend Arbeitstag hinter sich gebracht. Ich unterhalte mich mit ihr über die Wegstrecke, den Nebeĺ und den beginnenden Berufsverkehr. Natürlich erkenne ich die Holperbrücke von Cossebaude -  noch 10 Minuten Fahrzeit, dann sind wir da, werden in der Morgendämmerung von einem Ärzteteam erwartet.
Der Uhrzeiger schleicht, ich liege in einem lebhaften Raum, es ist Samstag, der 16. April, Freitag der 15. April 2016 wurde offensichtlich aus meinem persönlichen Kalendarium  gestrichen. Ich bilde mir ein, meinen Sohn zu hören, es muß eine Einbildung sein, denn ich sehe ihn nicht. Immer wieder höre ich, es ist Samstag der 16. April, Sie sind auf der Intensivstation. - Ich habe es ja kapiert, auch wenn die Worte nicht an mich gerichtet sind. Ärzte kommen an mein Bett, Schwester Kerstin kümmert sich um mich. Ich werde den Ärzten mit den Worten vorgestellt , daß ich ansprechbar sei und auch auf Anforderung reagieren würde. Das mir davon vorgeschwärmt wird, daß mein Sohn mich gleich besuchen kommt, hilft mir weniger, ich will nicht noch länger warten, bis er endlich zu mir darf! Endlich sehe ich Mark die Intensivstation betreten, immer wieder muß er sich die Augen reiben, ich bin selig, daß wir uns an den Händen halten. Durch die unzähligen Schläuche, die mir Mund und Nase blockieren, kann ich nicht reden, mit den Fingern male ich Buchstaben auf die Bettdecke, wir haben Verständigungsschwierigkeiten, bis ich zu Großbuchstaben übergehe.  Dann klappt es mit gutem Willen auf beiden Seiten. Die Zeit vergeht viel zu schnell und Mark muß wieder zurück nach Strehla, angenehm, daß die Besuchszeiten so variabel sind.
Der Sonntag rauscht auf der Intensivstation nur so an mir vorbei, es zählt nur die Zeit, wenn Mark bei mir ist, ich gleite im Dämmerzustand durch Zeit und Raum, unterbrochen von Gedanken, die um meinen Arbeitsplatz kreisen. Der Montag gleicht dem Sonntag, meinem Bettnachbarn zur Rechten geht es langsam besser, der Überwachungsplatz mir gegenüber ist in der Nacht frei geworden.
Am Abend, noch bevor Mark kommt, wird der dicke Schlauch aus meinem Mund gezogen, krächzend und unter Schmerz entringe ich mir die ersten Worte. Morgen, gegen 12:30 soll ich von der Intensivstation auf die normale Krankenstation verlegt werden.
Am Montagaben lasse ich Mark nicht eher von meiner Seite weichen, als bis das letzte Tageslicht gewichen ist.
Am Dienstag ìn der Früh bekomme ich, obwohl die Magensonde noch liegt, die  erste "feste" Mahlzeit, heiße Vanillecreme. Das Experiment glückt und ich werde den nächsten Schlauch los, meine Stimme ist mir ìmmer noch unbekannt.
Die Wassermatratze, die meinen Körper während der letzten Tage in Bewegung gehalten hat, wird entfernt, dafür das Fußteil höher gestellt, überrascht nehme ich den Unterschied wahr.
Dann überstürzen sich die Telefonanrufe. Mein Bruder ruft mich von unserer Mutter aus an, will mich mit Illa besuchen.  In der Nacht hatten mich Alpträume geplagt, nun höre ich seine Stimme durchs Telefon. Später ruft auch meine Schwester an, bestätigt mir, daß die beiden mich am Mittwoch besuchen wollen. So eine weite Fahrt, von Landshut und Darmstadt bis hierher, ich bin mir nicht sicher, ob mir das recht ist.
Schwester Kerstin kümmert sich treusorgend um mich,  kredenzt mir Kartoffelbrei mit heller Soße, liebevoll von Kapern befreit, die ich sogleich vom Tellerrand zurückkullern lasse. Dann übernimmt mich Schwester Cathleen, die mich mitsamt Bett an den neuen Bestimmungort kutschiert.

Dresden Stadion 2A , Zimmer 90

19. April, 12:40. Eigentlich hätte ich heute Morgen um 9:15 im Haus 27e einen Termin zur Voruntersuchung für die Speiseröhre gehabt, stattdessen liege ich "festgeschnallt" in meinem Bett.
Ich komme von der Intensivstation,  meine Zimmernachbarin war am Morgen noch zur OP, ihr Ehemann freut sich, daß die Operation so gut überstanden wurde, er schenkt ihr einen dekorativen großen Blumenstrauß aus gelben und lila Tulpen, natürlich gehört eine wunderschöne Besserungskarte dazu. Als ich mich lobend zum Blumenstrauß äußere, ernte ich einen kritischen Blick - kein guter Start für die Zimmergemeinschaft. 
Der Besuch von Tochter und Ehemann ist kurz, dieTochter scheint die beruhigenden Worte des Ehemanns ins russische zu übersetzen, doch nicht sehr erfolgreiche. Als sie das Zimmer verlassen, höre ich Verzweiflung aus dem Nachbarbett. Verzweiflung wird von Dämmerschlaf abgelöst, Trost nicht akzeptiert. Ich bin ihr viel zu munter.
Am Abend kommt der Ehemann von Frau J. wieder, auch dieses Mal ist sie nur solang gefaßt, bis ihr Ehemann den Raum verläßt.
Wie auch an den Abenden zuvor, trenne ich mich nur ungern von Mark, Vorfreude auf den nächsten Abend. Heute bestand meine Ernährung aus heißer Vanillecreme, Kartoffelbrei mit heller Soße und am Abend Kartoffelbrei mit dunkler Tütensoße. Am nächsten Morgen, mein ständiges Wasser darf ich inzwischen aus einer Tasse trinken, den abscheulich schmeckenden Plastikschnabelbecher konnte ich glücklicherweise zurück geben, denn Schwester Cathleen hatte Mitleid mit mir, beginnt ruhige Routine.
Der Anblick meiner Hände, die sehr einem Ballon ähneln, begeistert mich überhaupt nicht, der Schritt auf die Waage bestätigt ein Plus von 4,5 kg. Hände, Beine und Gesicht spannen. Das Frühstück bestand aus warmem Schokopudding mit, von mir gewünscht, Milchkaffee. Nach der Visite schreiten die Physiotherapeuten zur Tat. Frau J., ihr Mann war Ausbilder der Beiden, soll zuerst aktiviert werden, der erhoffte Anknüpfungspunkt wird jedoch von ihr abgelehnt, das nächste Konfliktpotenzial ist gegeben. Als ich dann an der Reihe bin, Rücken einreiben, Atemübungen und dann ein Gang über den Gang, der Geräteständer von meinem Bett darf auch mit, fließt das Gespräch munter über All you can eat, dem zurückliegenden Cuba Urlaub,  die Vorteile a la Carte zu essen, wo spanisch und wo portogiesisch gesprochen wird, hin und her. Zurück an meinem Bett, soviel Bewegung ist gar nicht gesund 😅,  werde ich wieder fest verkabelt und unter die Decke gesteckt.
Das Mittagessen ist gerade abserviert, Kartoffelbrei an Brokkolimedaillon mit Formfleisch vom Rind, als meine Geschwister das Zimmer betreten. Wir unterhalten uns, leider fühlt sich meine Zimmernachbarin sehr gestört davon. Doch das Gespräch, dem ich so skeptisch gegenüber stand, entwickelt sich positiv. Zum erstenmal habe ich den Eindruck, daß mich mein Bruder, so wie ich bin, wahr nimmt. Auch die Frage nach Alexander bekomme ich wahrheitsgemäß beantwortet. Es ist über 1 Stunde vergangen, als meine Geschwister wieder Richtung Lauf, wo sie sich getroffen hatten, aufbrechen. Meine Entschuldigung gegenüber meiner Zimmernachbarin wird als rücksichtslos abgelehnt. Die gut gemeinte Aufforderung der nun zuständigen Schwester, daß Frau J. Wasser trinken müßte, bringt das Faß zum überlaufen, ungehalten verlangt Frau J. ihren Ehemann erst anzurufen, davor darf nicht Hand an ihr angelegt werden.
Binnen kürzester Zeit kommt Herr Dr. J.  mit der Tochter angestürzt, versucht zu schlichten, dann kann er für seine Frau ein Einzelzimmer ergattern. Hoffentlich kehrt jetzt Ruhe für Frau J. ein. Ich bin froh, daß meine Freundin Sabine erst kommt, nachdem die Zimmerfrage geklärt ist. Diese Nacht werde ich nicht für meine Zimmernachbarin den Notknopf drücken müssen.
Und ich freue mich über das schöne Blumensträußchen von Sabine und auf den Besuch von meinem Sohn. Sabine verspricht mir, sich für mich um die Anschluß-Reha  zu kümmern, die von mir erwünschte Klink in Schmannewitz steht leider nicht zur Auswahl. Schon am Freitag oder Montag soll es losgehen.

Die nächsten Tage in Dresden

Am Abend bekommt mein armes Kind die Wunschliste der Reha-Klinik in Hände gedrückt, viel zusätzliche Arbeit lastet nun auf ihm. Zu vorgerückter Stunde verläßt er mich, ein schlechtes Gewissen muß ich gegenüber meiner Zimmernachbarin ja nicht haben, ich genieße ebenfalls den Luxus des Einzelzimmers, hoffentlich nur für eine Nacht. Seit Dienstag verfüge ich über den Luxus von Handy und Tablet, erste Telefongespräche mit TI und Groti sind möglich, der Geräteständer neben meinem Bett ist gut bestückt und bei jedem Schritt dabei. Die Tortur der Wiederbelebung meines Darmes habe ich mehr oder weniger überstanden. Auch die ungewöhnlich vielen Besucher - mein Sohn zählt natürlich nicht dazu.
Donnerstag, heute will die Sozialarbeiterin nochmals vorbei sehen und meine Anschluß-Kur in Bad Gottleuba bestätigen. Die Kur soll bereits morgen anfangen, vorausgesetzt alle Kabelanschlüsse sind aus mir entfernt. Da ich von den vielen Kabeĺn, die meinen Körper verlassen, eh nicht so begeistert bin, stimme ich den Ärzten zu, ihnen obliegt die fachliche Beurteilung. Auch der Anschluß, mit allem Zubehör, des externen Schrittmachers soll entfernt werden.
Chefarzt Dr. Brose kommt vorbei, stellt sich mit den Worten vor, daß er mich am Freitag operiert habe, es sei ganz schön knapp gewesen. Nun wolle er, wie versprochen, nochmal nach mir sehen. Sein Besuch ist aufschlußreich.
Als im Laufe des Donnerstagmorgen - es kann jetzt ziehen, werde ich hilfreich darauf aufmerksam gemacht - die störenden Elemente aus mir gezogen werden, fühle ich mich einerseits befreit, andererseits ausgelaugt.  Die Betonung liegt auf letzterem. Ich bin noch erschöpft vom Kabelziehen, als meine muntere neue Zimmernachbarin hineingeschoben wird. Kritisch beäugt sie mich, ob ich wohl auch so eine empfindliche Pflanze bin.
Bis der Praktikant des Physiotherapeuten mich unter die Hände nimmt, ist der Geräteständer bereits mächtig entlastet. Resolut beginnt er mit massieren, Atemübungen und dann geht es auch schon zum Gang über den Gang. Er kommt meinem Wunsch nach, daß ich mich am Ständer festhalten will, prompt wird er von seinem Chef darauf hingewiesen, daß ich mich nicht am Geräteständer festhalten soll, sonder er mir besser den Arm reicht, damit ich bei ihm einhaken kann. Knotternd, daß Praktikanten schließlich auch über einen Kopf verfügen würden, hakt er sich bei mir unter. Wohlbehalten und von weiteren Korrekturen verschont, überläßt er mich später meinem von mir zwischenzeitlich doch sehr geschätztem Bett. Ich bin erschöpft, da kann das Mittagessen nichts dran ändern: Kartoffelbrei mit etwas Soße an Karottenmedaillon und geformtem Püree aus hellbraunem Fleisch.
Schichtwechsel um 14 Uhr, Schwester Elisa übernimmt, ich und auch die mich betreuenden Schwestern können sich nur schwer vorstellen, daß morgen meine Kurbeginn sein soll, der diensthabende Stationsarzt schon, die Sozialarbeiterin hat alles vorbereitet, Mark muß den Koffer packen. Immerhin, zu den Mahlzeiten bewege ich mich an den Tisch, meine Bauchmuskeln fühlen sich jedoch noch nicht in der Lage, meine Beine ohne Unterstützung ins Bett hochzubewegen.
Ich genieße die ruhige Atmosphäre der Station.
Kurz nach 15 Uhr bringt mich Schwester Becky wie ein Brausewind zum Röntgen, wir unterhalten uns über den Roland von Belgern und die Lutherstadt Wittenberg. Bedauernd stellt sie fest, daß sie keine Gelegenheit hatte, das Hundertwasser-Gymnasium zu betrachten, ich schwärme ihr davon vor, meine aber, daß es von innen noch viel eindrucksvoller sei.
Erneut kehrt im Zimmer 90 Ruhe ein, nur unterbrochen von munteren Worten, die zwischen Frau Lukas, meiner Zimmernachbarin, und mir gewechselt werden. Frau Lukas hat im vergangenen Jahr Diamantene Hochzeit gefeiert, ihr Ehemann ist gerade 83 geworden. Die Informationen fliegen mir nur so zu, dennoch vergeht auch der Donnerstag mit viel vor sich hindämmern und kurzen Wachphasen, doch fühle ich mich erschöpfter als am Tag zuvor. Und immer wieder erfüllt das Geräusch nahender Rotorblätter das Zimmer.

Spielzeitverlängerung

Nach dem Abendessen werde ich ins Bad gebracht, eigentlich wollte ich mich nur kurz frisch machen. War dann doch der Tag zulange? Wie ein Schluck Wasser in der Kurve, hänge ich über dem Waschbecken, die rote Notfallschnur unerreichbar neben der Toilette. Als ich sie endlich zu packen bekomme, ist Hilfe sofort zur Stelle. Ich bin froh, daß Mark in diesem Moment nicht zur Tür hereinkommt. Als die hinzugerufene Ärztin angeeilt kommt, haben mich Schwestern und Pfleger schon sicher im Bett untergebracht, mir eine extra Portion Sauerstoff verpaßt und mich mehrfach zur Ordnung gerufen. Wird schon werden.
Später kommt dann auch Mark, wie immer geht es mir gleich besser, wenn er zur Tür hereinkommt. In der Nacht plagt mich ìmmer wieder leichte Übelkeit, doch überstehe ich sie ohne weitere Zwischenfälle. Am frühen Morgen ist Frau Lukas bereits auf dem Weg zu Dr. Brose, sie bekommt nun ihren Schrittmacher eingebaut, als der zuständige Stationsarzt bei mir vorbei kommen, sich mit mir über den Beginn der Reha unterhält, jetzt ist auch der Stationsarzt davon überzeugt, daß der Kurbeginn auf Montag verschoben gehört. Als er meint, es sei der 8. Tag nach der OP, korrigiere ich auf den 7. Tag, davon scheint er irritiert zu sein.
Sicherheitshalber habe ich mein Frühstück im Bett eingenommen. Beruhigt, daß ich bleiben kann, dümpelt der Vormittag an mir vorbei, für die Physiotherapie war ich nicht eingeteilt. Frau Lukas wird wieder ins Zimmer geschoben, sogleich bekomme ich das Erlebte mit lebhaften Worten berichtet.
Das Mittagsmenü für mich birgt wieder kulinarische Höhepunkte, Kartoffelbrei an Brokkolimedaillon mit Formfleisch vom Fischstäbchen, fast unberührt lasse ich es an mir vorübergehen. Und immer wieder sehe ich mich genötigt meine liebe Zimmernachbarin zur Ruhe zu mahnen. Als erstes müssen die Zähne wieder an ihren Platz, promt fällt der Sandsack auf den Boden, der den Schrittmacher auf Position halten soll, ich betätigte den Schwesternruf. Da wird solang unruhig hin und her gezappelt bis sich die Tastatur für die Bettverstellung löst, ich betätige den Notruf. Und immer wieder fröhlich - übermütige Worte meiner Zimmernachbarin. Dann kommen Tochter und Schwiegersohn von Frau Lukas vorbei, die Tasche für die Kur meiner Zimmernachbarin muß ebenfalls gerichtet werden. Ruhe für die Mutter kann die Tochter nicht vermitteln, sogar ich werde nervös. Ihr Ehemann sitz auf einem unserer beiden Stühle und liest ein mitgebrachtes Bildungsblatt, nichts bringt ihn aus der Ruhe, das kann nur jahrelange Übung sein.
Dr. Brose kommt vorbei, sieht nach seiner Patientin von heute. Auch bei mir bleibt er kurz stehen, ist damit zufrieden, daß ich noch bis Montag im Herzzentrum bleibe.
Langsam kehrt Ruhe ein, nach dem Abendessen bleibt uns nur eins, wir warten, daß mein Sohn kommt, schließlich freuen wir uns fast gleichermaßen auf seinen Besuch. Es ist schon lange dunkel, als er sich auf den Heimweg macht, versehen mit Tipps zur Lausitzer Hausmannskost und vielen Umarmungen.
Die Nacht wird unruhig, so oft betätige ich den Notruf. Die Nachtschwester kommt nach den ersten beiden Malen schon nicht mehr zu mir, sondern sieht gleich an das Bett meiner Zimmernachbarin. Kein Wunder, daß ich am Samstag leicht erschöpft in den Seilen hänge, mehr oder weniger vor mich hindöse. Hellwach rüttelt mich das Mittagessen, auf meinem Teller sind ein Löffel Kartoffelbrei, ein Klecks durchgeleierte Karotten und eine heller Brei, der nicht nur so aussieht, als wäre ein Huhn über den Teller gelaufen, sondern auch so schmeckt. Da kann der Teelöffel Soße nichts retten, ich ziehe mich in mein Bett zurück. Mein Fehler ist, meiner Speiseröhre habe ich diese Kost zu verdanken.
Als Mark am Nachmittag zu Besuch kommt, ist er weniger begeistert von seiner Mutter, die schlaff im Bett liegt. Doch am Abend ziehen belebende Geister bei mir ein, die Servicekraft hat ein Einsehen mit mir, ich bekomme eine Cremesuppe serviert. Der Sonntag beginnt essenstechnisch gleichermaßen erfreulich, zum Frühstück nenne ich 45g Frühstücksquark und 75g Früchtejoghurt mein eigen😊. Und als Mark dann am Nachmittag zu Besuch kommt, ist er wieder versöhnter mit dem Anblick seiner Mutter. Den Kuraufenthalt kann er sich dennoch nicht so recht vorstellen, ich mir auch nicht. Auch wenn die Waage verrät, daß sich das Plus von 4,5 kg in ein Minus von 4,5 kg gewandelt hat, meine Hände wieder normale Ausmaße haben.

Bad Gottleuba

Es ist soweit, nach dem Aufstehen verabschiede ich mich vom zur Verfügung gestellten Krankenhausnachthemd, zwänge mich, unbeweglich wie ich bin, in Leggins und T-Shirt. Sogar mein Butycase zu schließen, fehlt mir die Kraft. Das kann ja heiter werden.
Um kurz vor 9 Uhr, seit dem Frühstück lümmle ich auf dem Bett, hingegen Frau Lukas vor ihrer Abreise nach Bad Schandau nochmals zum Röntgen muß, werde ich von der frisch aus dem Urlaub zurückgekehrten Schwester gefragt, ob ich denn nun fertig für die Abreise sei und der Arzt für mich das Taxi nach Bad Gottleuba bestellen könnte. Ich kann dem nur zustimmen, schicke Mark eine WhatsApp, daß nun das Taxi bestellt ist. Fast eine Stunde später, um 10:45 kündigt Stimmengewirr auf dem Flur die Ankunft des Taxifahrers an. Als ich mich zu schwach für den Ausflug zum Taxi fühle, hat dann die Schwester doch erbarmen mit mir und führt mich zum Aufzug und dann bis auf die Straße zum Taxi hin; am Arm der Krankenschwester atme ich den Duft der großen weiten Welt des Nikotins ein.
Wir fahren über das Käthe-Kollwitz-Ufer, wechseln am Blauen Wunder die Elbseite und dann geht es durch Pillnitz nach Pirna. Der Taxifahrer meint, die Fahrt über Pillnitz fände er ruhiger, unser Gespräch kommt kaum begonnen wieder zum erliegen, da ist mein Schweigen nicht unschuldig daran.
Eigentlich könnte man die Fahrt genießen, zwar kühles, doch schönes Wetter. Teilnahmslos laße ich die Landschaft an mir vorüberziehen, die Fahrt, gut gemeint, jeden Gullideckel umfahrend, hätte ich mir anders vorgestellt. In Pirna ein Moment der Überraschung, ich habe eine junge Mutter im Blick, die mit dem Fahrrad unterwegs ist, die Einkäufe am Lenker, den Hund an der Leine, das Kind im Fahrradsitz auf dem Gepäckträger, als eine feiste Ratte vor uns die Straße kreuzt. Ganz schön unverfrohren.
Endlich am Ziel angekommen schraubt sich der Taxifahrer im Kurklinik-Gelände den Berg hoch, bis es wieder ein Stückchen bergab geht. Das Ziel ist erreicht, der Taxifahrer meint, ich müsse lediglich durch die Glastür gehen und schon wäre rechterhand die Rezeption. Also schleppe ich mich zur Rezeption, mühsam dem Taxi entsteigend. Nur gut, daß ich mich nicht selbst um mein Gepäck kümmern muß. Ich werde von der Rezeptionistin und der Hausdame empfangen, erhalte meinen Zimmerschlüssel und das Angebot, mich mit dem Rollstuhl ìn mein Zimmer zu bringen. Ich nehme dankend an. Und wieder rauscht alles an mir vorbei, dieses Mal ein Gewirr von Aufzügen und Gängen. Zwischendrin werde ich auf den Speisesaal aufmerksam gemacht, hier muß ich mich gleich melden, schließlich ist die Mittagstischzeit gleich vorbei. Ein Pfleger kommt ins Zimmer, macht mich darauf aufmerksam, daß ich mich um meinen Wasserbedarf kümmern muß. Nach kurzem Zögern fragt er mich, ob ich denn 3 Euro hätte, versehen mit dem Geld besorgt er mir eine Trinkflasche, incl. Wasser, für den Brita-Ionox Wasserautomaten. Der Koffer liegt unberührt auf dem Koffersessel, daneben meine Taschen, nach einem Moment Pause raffe ich mich auf, schleiche den Gang vor zum Aufzug und lasse mich die zwei Stockwerke  zum Speisesaal runterfahren. Unter angekommen, werde ich bereits erwartet und zu meinem Platz für die nächsten 3 Wochen gewiesen. Ich sitze an einem Tisch, an dem bedient wird. Als erstes darf ich mir die Speisefolge für die nächste Woche aussuchen, dank meines gesegneten Appetits einigen wir uns auf halbe Portionen. Dann bekomme ich mein Mittagessen serviert. Ich freue mich schon darauf, wieder zurück in mein Zimmer zukommen.
Am Mittag die ersten Termine im Schwesternzimmer und bei der Ärztin,  auch nach meinem Mittagsschlaf steht mein Koffer noch unberührt da, wenigstens war ich in der Lage auf meinem Bett die gerichteten Handtücher zu entdecken. Ich friere, mein Körper ist mit anderem beschäftigt, als mich zu wärmen. Mein Gesamtzustand fühlt sich immer noch an, wie ein Schluck Wasser in der Kurve.
Am Abend schleppe ich mich wieder in den Speisesaal, der junge Mann neben mir hat seine Mahlzeit bereits beendet, doch als er hört, daß mir Suppe angeboten wird, erwacht sein Hunger aufs Neue und schon muß die Servicekraft nicht nur eine Tasse Suppe bringen, sondern gleich vier. Brot, Brötchen, Butter, Margarine und eine bereits geplünderte Platte mit Brotbelag, sowie Salat stehen auf dem Tisch gerichtet. Direkt vor mir, der Behälter mit Knäckebrot, Zwieback und den hier so geschätzten Filinchen. Mir langt die Tasse Suppe.
Am Abend mein Lichtblick des Tages, Mark kommt. Was würde ich nur ohne seinen Bestand machen?

Die ersten Tage der Kur

Am Abend hatte mir Mark noch meinen Koffer aus- und aufgeräumt, der nächste Tag beginnt unbarmherzig um 6 Uhr, meine Tablettenration des Tages wird von der Schwester in mein Zimmer gebracht, vor 7 Uhr soll ich mich im Schwesternzimmer melden. Als ich mich dann im Schwesternzimmer melde, wird festgestellten, daß Grundvoraussetzungen nicht gegeben sind, also bekomme ich einen hübschen kleinen Becher in die Hand gedrückt, alles wird auf den nächsten Morgen verschoben. Nur mein unkontrolliertes Frieren bleibt mir erhalten. In meine warme Strickjacke gehüllt schleiche ich mich an meinen Eßplatz, freue mich auf einen guten Schluck Kaffee. Der Kaffee ist typisch sächsisch, mir viel zu stark. Ich bekomme einen Becher heißen Kakao und ein Schälchen Kräuterquark gebracht. Nach dem Frühstück muß ich ins Haus 12 zur Rezeption, dort sind die Postfächer, ich muß mir mein Behandlungsbuch aus dem Postfach holen. Der Weg zur Rezeption ist kürzer und unkomplizierter zu finden, als ich es von gestern mit meiner Rollstuhlfahrt in Erinnerung habe, doch vor den Postfächern angelangt habe ich Mühe das Fach 13.208 zu finden. Entweder ich habe das Zählen verlernt, oder die Zahlenfolge ist gerade so willkürlich, wie in unsern Aktenschränken das Alphabet. Endlich habe ich mein Heftchen in der Hand, die Hausdame spricht mich an, macht mich darauf aufmerksam, daß ich gestern doch um einen Internetzugang gebeten hätte, der nun für mich an der Rezeption bereit liegt. Wohl versorgt mit Internetzugang und Behandlungsbuch schleiche ich zum Aufzug, nur um kurze Zeit später verwirrt in einem Stock zu landen, in den ich nicht wollt. Auch mein zweiter Haltepunkt entspricht in keinsterweise meinem Wunschziel, der Empore über der Rezeption. Okay, die Reihenfolge lautet "E" für Rezeption und Ausgang, "0" für Empore und "1", "2" für die Patientenzimmer. Ich bin froh, endlich zurück in mein Zimmer im Haus 13 und auf mein Bett zu können, mein nächster Termin ist die Visite zwischen 9.40 und 11.00 Uhr, die bequemerweise im Patientenzimmer stattfindet.
Die ersten Tage der Kur ziehen an mir vorüber, wenn es der Behandlungsplan erlaubt, liege ich auf dem Bett und schlafe. Endlich, nach dem Mittagessen am Mittwoch, höre ich auf zu frieren, mein Körper beginnt sich wieder am täglichen Leben zu beteiligen, wird ja auch langsam Zeit. Zwar ist alles mühsam, doch ich kann langsam das tun, was ich will, am deutlichsten wird es bei den Mahlzeiten, ich beginne das Buffet zu inspizieren und kaum kann ich mir selbst die erwünschten Speisen und Getränke besorgen, bin ich auch schon für meine Tischnachbarn eine willige Bedienung. Darauf angesprochen kann ich nur die Schultern zucken, es macht mir nichts aus, mich dermaßen ausnutzen zu lassen, bin ich es doch von Kindheit her gewohnt hilfreich zur Hand zugehen, egal ob am Familientisch oder bei meiner Tante und später im eigenen Haushalt, dafür haben sich die Gäste auch immer bei mir  wohlgefühlt.
Das ältere Ehepaar, er ist 94 und sie 87, das mir am Tisch gegenüber sitzt, ist am gleichen Tag wie ich eingetroffen, wir werden also die 3 Wochen gemeinsam die Mahlzeiten einnehmen. Ich bin für unsere Getränke, den morgendlichen Joghurt und die eine oder andere Leckerei zuständig, die übrigen 3 am Tisch haben schon mehr als die Hälfte ihrer Kur hinter sich. Der junge Mann, der neben mir sitzt, ist immer als erster am Tisch, ich bewundere jedesmal aufs Neue seinen gesegneten Appetit.
Die Anwendungen, alle "von mildem Temperament" ziehen sich im Stundentakt über meinen Therapierplan: Funktionsgymnastik Aufbaugruppe OP; Gehtraining Aufbaugruppe OP; etliche Seminare rund um den Herzinfarkt, Untersuchungen und Inhalation. Störend anstrengend: das Ergometertraining. Die erste Trainingseinheit breche ich nach 10 Minuten ab, die  Belastung war lediglich 20 Watt, meine Kreuzschmerzen, bedingt durch meine angeschlagene Wirbelsäule, sind unerträglich. Bei der nächstes Trainingseinheit bitte ich darum, auf das Liegendrad zu dürfen, ab sofort wird meinem Wunsch entsprochen.
So gehen die ersten anderthalb Wochen vorbei.

Von Tag zu Tag nähert sich das Ende meiner Kur

Nachdem ich meinen Klammernschmuck am rechten Unterschenkel und auf dem Brustbein wieder los bin, voll Stolz hat mir die Schwester, die für die Wundversorgung zuständig war, ihre reichliche Ausbeute gezeigt, darf ich mich schrittweise wieder der Dusche nähern, eine Wohltat. Natürlich zieren mich anfangs noch etliche Pflaster, doch zumindest mein Unterschenkel ist wunschgemäß verheilt, am Oberkörper muß noch weiter gearbeitet werden. Wundversorgungen ergänzt meine neuerstellten Behandlungspläne. Meine körperlichen Ertüchtigungen kann ich erwartungsgemäß erfüllen, auch wenn ich mich weigere die Treppen für die Überwindung der Stockwerke zu nutzen, mich regelmäßig der sanfte Anstieg des Geländes außerhalb der Gebäude fordert, beginne ich am 7. Tag meines Kuraufenthalts damit kleine Spaziergänge zu unternehmen. Mit dem Aufzug geht es in den 1. Stock, dann eine halbe Treppe runter, darunter sind 16 Stufen zu verstehen, zur Haustür - das Öffnen fällt mir anfangs noch mächtig schwer - nochmal ein paar Stufen runter und dann Schritt für Schritt den Hügel Richtung Pavillon hoch. Nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich die wenigen Meter bewältigt, mein Handy klingelt, atemlos nehme ich ab, vertröste meinen Gesprächspartner, bis ich einen rettenden Stuhl vor dem Pavillon erreicht habe. Endlich ausruhen. Nach dem Telefonat möchte ich die Ruhe und die Sonne genießen, doch meine Rechnung geht nicht auf, der Pavillon dient als Raucherinsel. Doch ich muß noch ausharren, Kraft schöpfen, bevor ich mich auf den Rückweg mache der, meiner Antipathie dem Treppensteigen entsprechend, mich um das Haus 13 herum zum Haupteingang der Häuser 12 bis 14 führt. Lieber mehr Schritte, als auch nur eine Stufe zuviel.
Am ersten Sonntag meines Aufenthaltes in der Reha-Klinik entführt mich Mark nach Schmilka und verwöhnt mich im Cafe Richter mit reichlich Schokolade und Cappuccino. So gestärkt kann ich der 2. Woche entgegen sehen.
Das Areal des MEDIAN Gesundheitspark Bad Gottleuba ist eigentlich sehr interessant, es wurde 1909 bis 1913 im Auftrag der LVA Sachsen errichtet, umfaßt 27 Gebäudekomplexe,  von denen lediglich noch wenige auf die Sanierung warten. Aber es gibt Dinge, von denen ich einfach nichts wissen will. So werde ich mir auch die - egal wie interessant - Medizinhistorische Ausstellung nicht ansehen. Das wird sicher niemand bemerken 😊. Auch ein Pflicht-Vortrag über Herzoperation, Bypass und Stent-Op, inklusive Video habe ich nur mit geschlossenen Augen überstanden - mehr schlecht wie recht. Ich will es überhaupt nicht wissen. Mir langt, daß ich nun über einen Reißverschluss verfüge, leicht sichtbar, auch ohne tiefen Ausschnitt, was muß ich da die Einzelheiten kennen? Auch das Wissen der Ärzte, daß sich der Infarkt die letzten 10 bis 15 Jahre zusammengebaut hat und ich meinen Konsum an Schweinefleisch dringend reduzieren muß hilft mir nicht wirklich, denn wenn Wurst, bevorzuge ich schon seit Jahren (Jahrzehnten) Geflügelwurst, bei Fleisch kommt Rind und bestenfalls Geflügel auf den Tisch, somit wird es schwierig den Konsum von Schweinefleisch zu reduzieren.  Aber die Ärzte benötigen einen Schuldigen, jetzt haben sie sich auf das Cholesterin gestürzt. Mark ist mit dieser Diagnose äußerst unzufrieden.  Was mich verwundert ist, daß die Ärzte den Streß nicht als Schuldigen vermuten. Dabei war es eigentlich während meiner Ausbildung und meinem Berufsleben in der BRD ein gefügeltes Wort, daß mindestens jeder 2. Steuerberater einem Herzinfarkt erliegt. Gute Berufswahl. Soviel dazu.
Am Mittwoch der 2. Woche erfolgt die Einweisung in das Buffet. Die Brötchen, die zur Auswahl stehen werden erklärt, nicht die dunkelsten sind die gesündesten, sondern die mit den sichtbaren Körnern. Der Vorteil der Butter zur Margarine wird hervorgehoben und darauf hingewiesen, daß am Tag 5 Portionen Obst und Gemüse gegessen werden sollten,  dabei entfallen auf das Gemüse 3 Portionen. Die Größe der Portionen verblüfft mich hingegen, 1 Portion entspricht lediglich einer Hand voll.
Seit dem Ausflug mit Mark, habe ich begonnen täglich einen kleinen Spaziergang zu unternehmen. In diesem hügeligen Gelände relativ schwierig, da ich zwar, unter festhalten meiner beiden verbliebenen Pflaster zwischen und unterhalb der Brust, die Treppen herunter komme,  daß Erklimmen der Stufen mir jedoch immer noch recht schwer fällt. Doch versuche ich jeden Tag meinen Spaziergang - von Parkbank zu Parkbank - einwenig auszudehnen.

Freigang von der Kur

Wochenende, Mark holt mich wieder zu einem Ausflug ab, ich habe mir das Kirnitzschtal als Ziel gewünscht, genauer gesagt, die Buschmühle im Kirnitzschtal. Marks Navi führt uns über Sebnitz und das Räumicht ins Kirnitzschtal, also kommen wir von oben zur Buschmühle, die sich seit unserem letzten Aufenthalt nicht verändert zu haben scheint. Das war lange vor Faustusens Zeit, war es überhaupt in diesem Jahrtausend? Der Kaffee schmeckt, der Kuchen schmeckt, das Mühlenrad wird emsig von der rauschenden Kirnitzsch angetrieben. Es könnte etwas wärmer sein, doch läßt es sich im Hof aushalten, Fahrradfahrer, die Rast einlegen, werden beobachtet über Bier und Nikotinkonsum gestaunt. Und ich denke an Margot Werners Interpretation "Meine letzte Zigarette" (Ruth Händel). Zum Abendessen, ich hatte mich für den Abend im Speisesaal abgemeldet, belagern wir die Terrasse des Forsthauses kurz vor den Toren von Bad Schandau, gemütlich lassen wir den Tag mit einer Portion Spargel ausklingen, das nächste Wochenende kommt bestimmt.
Und schon beginnt die dritte und damit letzte Woche meiner Kur. Für den Montag steht ein Hauch von Griechenland auf dem Speiseplan, eigentlich habe ich mich darauf gefreut. Mein Therapierplan ist anderer Ansicht, ich soll mich in der Lehrküche zu "Herzgesundes Kochen", Haus 7 EG, einfinden. "Ihr Mittagessen wurde für Sie abgemeldet". Brav finde ich mich zu festgesetzter Zeit im Vorraum der Lehrküche ein. Die Runde besteht aus 7 Männern,  der Ernähungsberaterin und mir, es soll Salzkartoffeln, überbackene Hühnerbrust und Pfannengemüse geben, die Vorspeise besteht aus Rohkostsalat und auch einen Nachtisch soll es geben. Zubereitung und Zutaten sind für mich keine überwältigende Neuigkeiten, die Herren der Runde lassen alles in dem Bewußtsein über sich ergehen, daß Zuhause am Herd die Ehefrau herrscht. Doch bevor wir an die Zubereitung unseres Mittagessens schreiten, werden wir über die verschiedenen Öle - kaltgepreßtes Olivenöl, Rapsöl und Leinöl - informiert, über den Fettgehalt von 1,5 %, den Milchprodukte mindesten haben sollten und über Brötchen, Butter oder Margarine und die darin versteckten ungesunden gehärteten Fette, aufgeklärt. Auch die Fruchtjoghurte bekommen ihr Fett (der Zucker) weg. Dann geht es in die Lehrküche, manchem Herrn springt die Desinteresse laut aus der Körperhaltung, flotte Sprüche füllen den Raum. Aber ich will nicht über die Herren lästern, die Dame, die ebenfalls an dem Termin hätte teilnehmen sollen, ist erst gar nicht erschienen. Da die Ernähungsberaterin bereits fleißig Vorbereitungen getroffen hat, bleibt nur noch die Fertigstellung des Essens. Als neue Zutat - und Erfahrung - nehme ich "Johannisbrotmehl" mit, das ist die gesamte Ausbeute für mich, nachdem ich mich vergewissert habe, daß ich das von mir geschätzte Kokosöl unbedenklich verwenden kann, es wurde lediglich als positives Fett nicht erwähnt, da es nicht so bekannt ist.
Ach ja, am Mittwoch schließt sich, ebenfalls in der Lehrküche, noch ein Vortrag zur Vollwertkost an, theoretisch mit dem gleichen Teilnehmerkreis, nur der Herr, der am lautesten geschnottert hatte, entzog sich der Teilnahme. Die Effektivität des Vortrags lassen wir mal ruhig dahingestellt sein. Allerdings fehlte mir anschließend eindeutig die um 15 Uhr entgangene Tasse Kaffee.
Am Donnerstag finden die Abschlußuntersuchungen der Kur statt. Das ganze beginnt um 8 Uhr, nach dem Frühstück, mit der Blutprobe. Ich bin nicht die einzige, die sich Blut zapfen lassen muß, etwas was hier durch die Ärzte und nicht die Schwestern geschieht und so treffen nacheinander alle Ärzte der Häuser der Klinik Hellenberg im Schwesternzimmer von Haus 13 ein. Ärzte, deren Namen die unterschiedlichsten Herkunftsländer vermuten lassen, Ärzte, die sich allesamt bislang trefflichst um uns Rekonvaleszenten gekümmert haben. Mit nichts bin ich darauf gefaßt, daß zwei der wartenden plötzlich davon anfangen über die  "Kohle" zu lästern und dabei kein Ende finden.
Zug um Zug geht die Blutabnahme der Reihe nach, egal durch welchen Arzt. Doch obwohl ich noch nicht an der Reihe bin, bittet mich "meine" Ärztin namentlich zu ihr zu kommen, die "Kohle-Dame" ist empört. Die Wahrscheinlichkeit, daß nun genau der Arzt sich ihrer annehmen wird, über den sie so heftig gelästert hat, wächst damit, mich stört es nicht. Und die Ärztin hat ein Anliegen an mich, sie bittet mich eher zum Abschlußgespräch zu ihr zu kommen.

Auf ein Neues

Jetzt sind einige Monate vergangen, bei mir selbst angekommen bin ich nicht. Meine Krankschreibung dauert fort, mit meiner Gesundheit bin ich nicht einverstanden. Meine Ärzte auch nicht. Heute war zur nächsten Untersuchung die Einweisung ins Herzzentrum Leipzig angesagt, also ließ ich mich vom Taxi zur Tagesklinik bringen. Die Fahrt führte uns über die Dörfer weit nach Leipzig-Mitte rein. Rechterhand, bevor die Straße an einer großen Kaserne vorbei führte, ein alter Güterbahnhof, die alte Schrift verblasst, doch gut erkennbar: Die Jugend liebt den Frieden. Nur die Jugend?

Dann wechsle ich in Leipzig-Gohlis das Taxi, die Fahrt geht wieder Richtung Süden zur Herzklinik. Nach über einer Stunde Fahrt werde ich am Empfang der Tagesklinik absetzt, um 11 Uhr soll ich mich melden, doch stelle ich mich schon eher an. Zwar habe ich alles dabei, doch ausreichend Fragebogen habe ich noch nicht ausgefüllt. Also suche ich mir im wohlgefüllten Wartebereich eine Sitzgelegenheit, um das Versäumte nachzuholen. So vergeht auch die Zeit. Um kurz nach 12 Uhr beginne ich mich zu langweilen, gut, daß ich mein E-Book zur Hand habe. Um kurz nach 13 Uhr wird mein Namen aufgerufen, die ersten Untersuchungen und Fragebogen werden von einer Schwester durchgeführt und entgegengenommen. Dafür erhalte ich dann, eich die nächsten Fragebögen für den Arzt,der mich gleich aufrufen würde. Zwei Stunden später ist es soweit. Auf mich wartet Untersuchung und die nächsten Fragebögen. Das Frage- und Antwortspiel zu der Herzkatheteruntersuchung und der unter Umständen folgenden Weiterbehandlung zieht sich dahin. Kurze Zeit später kann ich wieder auf dem blauen Kunstledersessel im Wartebereich Platz nehmen. Ob mich der Sessel schon vermißt hat?

Gerade war ich auf dem Weg ins Reich der Träume, als ich meinen Namen quer durch den Wartebereich schallen höre. Der Betteneinweiser hat ein Nahtquartier in der Abteilung B0 für mich gefunden, freundlich macht er mich darauf aufmerksam, daß ich dann morgen für die nächsten Tage auf Station verlegt werde, wenig begeistert hake ich nach und bekomme erklärt, daß nach dem Herzkatheteruntersuchung sofort die Folgebehandlung beginnen würde und dann müßte ich aus der Tagesklinik auf Station verlegt werden. Nach kurzem Irrlauf finde ich Station B0 und werde in Zimmer 22 eingewiesen. Jetzt darf weiter gewartet werden, angeblich soll heute noch eine Ultraschalluntersuchung stattfinden. Endlich darf ich wieder etwas trinken. Und tatsächlich um kurz nach 20 Uhr werde ich zur Ultraschalluntersuchung abgeholt, Mark ist inzwischen wieder mit einer Tasche mit meinen Sachen eingetroffen - Besuchszeiten werden großzügig ausgelegt. Vom Ultraschall zurück, werde ich darüber informiert, daß morgen die Katheteruntersuchung ansteht und ich dafür nüchtern sein muß. Naja, nüchtern bin ich, schließlich habe ich gestern Abend zum letzten Mal etwas gegessen. Mark unterhält sich mit mir noch bis um kurz nach 22 Uhr bevor er sich auf den Heimweg macht.